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Syrer auf der Anklagebank

The following article which is currently only available in German was published in the Austrian newspaper Wiener Zeitung by Markus Schauta. It includes an interview with Guernica 37 co-founder Toby Cadman and can be accessed here.


Kriegsverbrechen in Syrien werden Fall für die Justiz


Von WZ-Korrespondent Markus Schauta



Wien. Etwa eine halbe Million Menschen sind im syrischen Krieg seit 2011 getötet worden. Bei weitem nicht alle starben bei Kampfhandlungen. Tausende wurden Opfer von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, zu Tode gefoltert, ermordet. Die Täter finden sich auf beiden Seiten der Front. Doch die überwiegende Zahl an Verbrechen geht auf das Konto des Regimes von Bashar al-Assad.


Im August 2013 schmuggelt ein Überläufer mit Decknamen "Caesar" tausende Fotos aus Syrien heraus. Auf knapp 7000 davon hat der ehemalige Militär-Forensiker Gefangene fotografiert, die in Haft oder nach ihrer Überstellung aus einem Gefängnis in ein Militärkrankenhaus in Damaskus starben. Die Leichen zeigen eindeutige Spuren von Folter. Die Echtheit der Fotos ist belegt. Familien konnten ihre verschwundenen Angehörigen auf den Bildern identifizieren. Ehemalige Gefangene und Überläufer bestätigten die Praxis von Folter und Mord. Laut einem Bericht von Amnesty International (AI) sollen zwischen 2011 und 2017 alleine im Militärgefängnis Saydnaya 13.000 Gefangene außergerichtlich hingerichtet worden sein. "Die Fotos führen uns eindrücklich vor Augen, was in Syriens Gefängnissen geschieht", sagt Toby Cadman von Guernica37, einer international tätigen Anwaltskanzlei mit Sitz in London, die sich der Aufarbeitung von Verbrechen in Syrien widmet.


Folter und Mord mit Methode

Syriens Präsident Assad leugnet das. In einem Interview mit den Caesar-Fotos konfrontiert, tut er sie als Propaganda ab: In jedem Krieg gebe es individuelle Verbrechen. Was in den Gefängnissen geschehe, sei nicht staatlich angeordnet.


Die Caesar-Fotos sind nur ein Teil jener Beweise, die in Syrien gesammelt und außer Landes geschmuggelt wurden. "Überall dort, wo das Regime sich aus Gebieten zurückzog, ließ es Beweise zurück", erklärt Cadman: in Verwaltungsgebäuden, Polizeistationen und den Zentralen der Geheimdienste. Die syrischen Ermittler sammelten Namenslisten, Berichte, unterschriebene und gestempelte Dokumente. Dadurch lassen sich Befehlsketten nachvollziehen. Von den obersten Rängen, dem Verteidigungs- und Innenministerium und den Leitungen der Geheimdienste, bis hinunter zu den Polizeistationen und örtlichen Geheimdienststellen.


In umgekehrter Richtung erreichten Berichte darüber, was vor Ort geschieht, die Verantwortlichen in Damaskus. Die Dokumente belegen: Anders als Assad behauptet, steckt Methode hinter Folter und Mord. Und die Spitzen des Regimes sind darüber informiert. "Die Verbrechen des syrischen Regimes sind auf industriellem Niveau organisiert. Indem Beamte und Militärs alles penibel dokumentiert haben, hinterließen sie eine Beweisspur, die wir nun verfolgen", erzählt Toby Cadman.


Um die von Organisationen wie Guernica37 gesammelten Beweise zentral lagern und analysieren zu können, haben die Vereinten Nationen 2016 eine Resolution zur Gründung eines unabhängigen Gremiums (International Independent and Impartial Mechanism) verabschiedet. Die Einrichtung mit Sitz in Genf soll durch ihre Arbeit mögliche Strafverfolgungen an nationalen, regionalen, oder internationalen Gerichten und Tribunalen vorbereiten.


Uneinigkeit in der UNO

Doch trotz der erdrückenden Beweislage konnte bis jetzt kein Verfahren am Internationalen Gerichtshof eröffnet werden. Zunächst, weil Syrien den Strafgerichtshof in Den Haag nie anerkannt hat. Aber auch, weil der Weltsicherheitsrat sich uneinig ist. Eine Resolution, um die Verbrechen in Syrien an die Richter in Den Haag zu überweisen, wird seit 2014 von Russland und China blockiert. Bleiben daher nur einzelne staatliche Gerichte, die unter bestimmten Umständen aktiv werden können.


In Österreich ist dies möglich, wenn in Syrien ein Menschenrechtsverbrechen an einem österreichischen Staatsbürger verübt wird. Oder auf Basis des sogenannten Weltrechtspflegeprinzips, das greift, wenn in einem fremden Staat Verbrechen nach Völkerrecht begangen werden - was für Syrien zutrifft. Anklagen gegen syrische Staatsbürger gab es bis jetzt nicht. Es wird aber ermittelt. Auslöser ist die Strafanzeige von 16 Frauen und Männern im Mai 2018 bei der Staatsanwaltschaft Wien, die sich gegen 24 hochrangige Funktionäre der Regierung von Bashar al-Assad richtet. Erarbeitet wurde die Strafanzeige von den Juristen des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) in Berlin und dem Wiener Center for the Enforcement of Human Rights International (CEHRI). In einem weiteren Verfahren zu Folter in Syrien ermittelt die Staatsanwaltschaft Wien gegen einen Tatverdächtigen aus der Stadt Raqqa, der sich in Österreich aufhält.


Die Mühlen der Justiz mahlen

Die Deutsche Bundesanwaltschaft konnte im Juni 2018 aufgrund des Weltrechtspflegeprinzips einen internationalen Haftbefehl gegen Jamil Hassan, Chef des syrischen Luftwaffengeheimdienstes, erwirken. Die Ermittler werfen ihm systematische Folter und willkürliche Exekutionen politischer Gefangener vor. Der Haftbefehl basiert unter anderem auf den Caesar-Fotos. Aber nicht nur Vertreter des Regimes, auch als Flüchtlinge nach Deutschland gelangte Rebellen, die sich in Syrien Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig machten, werden angeklagt und verurteilt. Auch in Frankreich, Schweden und Spanien werden Haftbefehle angeordnet, Anklagen vorbereitet und Täter, so anwesend, vor Gericht gestellt.


Ob zusätzlich zum Vorgehen einzelner Staaten auch der Internationale Strafgerichtshof jemals tätig werden kann oder es zu einer juristischen Aufarbeitung der Verbrechen in Syrien kommt, ist ungewiss. Toby Cadman, der bereits an der Strafverfolgung von Tätern im Bosnienkrieg beteiligt war, weiß, dass es Zeit braucht: "Untersuchungen zu Kriegsverbrechen, die vor mehr als zwanzig Jahren in Bosnien verübt wurden, sind zum Teil bis heute nicht abgeschlossen." Doch er ist zuversichtlich. Die Tatsache, dass europäische Gerichtshöfe Ermittlungen eingeleitet und Haftbefehle ausgestellt haben, zeuge davon, dass die Mühlen der internationalen Justiz mahlen.

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